OTC-Gipfel stand im Zeichen des Ampel-Aus

Diskutierten intensiv die Potenziale und Perspektiven von Selbstmedikation und Selfcare über die Apotheke vor Ort (v.l.n.r.): Prof. Dr. Uwe May, Moderator Dr. med. Dennis Ballwieser, Thomas Preis, Barbara Steffens, Michael Hennrich. (Bildquelle: AVNR)

Ohne gesundheitspolitische Stärkungsmaßnahmen für Apotheken wird die Arzneimittelversorgung der Bürger aufs Spiel gesetzt

Der 9. OTC-Gipfel am 07.11.2024 in Düsseldorf stand im Zeichen des Ampel-Aus am Abend zuvor. Aus aktuellem Anlass warnte der Vorsitzende des Apothekerverbandes Nordrhein e.V., Thomas Preis, daher davor, dass ohne gesundheitspolitische Stärkungsmaßnahmen die Arzneimittelversorgung über die Apotheken vor Ort aufs Spiel gesetzt werde: „Unserem Land drohen jetzt Monate des politischen Stillstands. Stillstand, den wir uns angesichts der zahlreichen Probleme und Herausforderungen unseres Gesundheitswesens gerade auch angesichts des demografischen Wandels nicht erlauben können“, stellte Preis klar. Denn zahlreiche Reformvorhaben und Gesetzesinitiativen, die eine verbesserte Versorgung von Bürgerinnen und Bürgern durch Apotheken vorsehen, drohen nun nicht mehr umgesetzt zu werden. Fatal wäre auch, dass wirtschaftliche Stärkungsmaßnahmen für die Apotheken jetzt zunächst in weite Ferne rücken würden.

Immer weniger Apotheken müssen immer mehr Menschen versorgen

Die dramatische Entwicklung bei den Apothekenschließungen verdeutlichte Preis mit aktuellen Zahlen: „420 Schließungen in den ersten 9 Monaten dieses Jahres sind noch einmal deutlich höher als im Vergleichszeitraum des Jahres 2023 mit 383 Schließungen. War mit 17.733 Apotheken am Ende des dritten Quartals 2023 ein neuer fataler historischer Tiefststand erreicht worden, sind wir in diesem Jahr schon bei nur noch 17.187 angekommen. Und das bei steigenden Bevölkerungszahlen in Deutschland (84,3 Mio. in 2023 / 84,6 Mio. in 2024)“, sagte Preis. Das bedeute immer weniger Apotheken versorgen immer mehr Menschen. Und ein Ende der Schließungswelle sei ohne ein energisches Handeln der Politik nicht zu stoppen“, so Preis.

Gestärkte Apotheken könnten Gesundheitswesen und Ärzte deutlich entlasten

Auf dem OTC-Gipfel wurde erstmalig neben dem Thema Selbstmedikation auch die Selfcare und damit die fachlich unterstützte Betreuung der Menschen über die Apotheke vor Ort in den Mittelpunkt gerückt. Hochkarätige Experten aus der Medizin, von Arzneimittel­herstellern, den Krankenkassen, der Gesundheitsökonomie und nicht zuletzt Patienten­vertreter bestätigten, dass die Apotheken vor Ort als niedrigschwelliger Zugang im Gesundheitswesen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Menschen noch vielstärker genutzt werden könnten. 

So machte die Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Köln, Prof. Dr. Beate Müller, in einem Fachvortrag zum Thema „Selfcare und primary healthcare“ deutlich, dass die enormen Herausforderungen im Gesundheitswesen künftig nur gemeinsam in interprofessionellen Teams, insbesondere in einer noch stärkeren Zusammenarbeit der Heilberufe Arzt und Apotheker, zu stemmen seien. Berufspolitisch müsse man sich da im Sinne der Verbesserung der Versorgung der Menschen nach vorne bewegen, forderte Müller. Gerade beim ärztlichen Nachwuchs gäbe es für eine verbesserte Arbeitsteilung eine große Offenheit, so Müller. 

Der Geschäftsführer Politik bei Pharma Deutschland e.V., Michael Hennrich, ging noch einen Schritt weiter. Er stellte klar, dass die Apotheken vor Ort weit mehr seien und auch leisten könnten als nur die Arzneimittelversorgung der Versicherten sicherzustellen. „In der Apotheke finden die Menschen niedrigschwellige, aber hoch kompetente Beratung und Unterstützung bei Erkrankungen“, sagte Hennrich. Gerade bei leichteren akuten Erkrankungen könne man Apotheken viel stärker als erste Anlaufstelle nutzen. Genau dafür wolle sich sein Verband mit seinen 400 Mitgliedsunternehmen noch stärker einsetzen und eine „Allianz mit Apotheken bilden“. 

Als Gesundheitsökonom und Volkswirt untermauerte Prof. Dr. Uwe May das große Entlastungspotenzial durch Apotheken. Zunächst bezifferte May die enormen Einsparungen durch Selbstmedikation. Seinen Berechnungen zufolge würde jeder Euro, der in Deutschland für Selbstmedikation ausgegeben werde, der Gesetzlichen Kranken­versicherung (GKV) im Durchschnitt knapp 14 Euro sparen. Darüber hinaus verwies May auf wissenschaftliche Erhebungen, die belegen, dass ein Arzt sehr viel mehr Zeit für schwer erkrankte Menschen nutzen könnte, wenn Patienten bei leichteren Erkrankungen sich mit Unterstützung der Apotheken zunächst selbst behandeln würden. Wenn fünf Patienten, so eine aktuelle Hochrechnung von May, sich für eine Selbstbehandlung statt eines Arztbesuches entscheiden würden, könnte ein Arzt bereits über eine Stunde seiner Arbeitszeit einsparen.

Die ehemalige NRW-Gesundheitsministerin und heutige Leiterin der NRW-Landesvertretung der Techniker Krankenkasse, Barbara Steffens, bekräftigte ihre frühere Grundhaltung als Ministerin, dass Apotheken in „Pantoffelnähe“ eine zentrale Säule der Gesundheitsversorgung seien. Apotheken seien ein Ort , wo der Mensch im Mittelpunkt stehe. Dabei warb sie für eine heilberufliche Ausrichtung und eine noch stärkere Lotsenfunktion der Apotheken. Der kostenintensiven Etablierung von Gesundheitskiosken, so wie sie Bundesgesund­heitsminister Lauterbach geplant habe, erteilte Steffens eine klare Absage. Große Hoffnungen hinsichtlich einer besseren Patientensteuerung und mehr Transparenz, auch bezogen auf verordnete, aber auch selbst gekaufte Arzneimittel, verbindet Steffens mit der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA).

Als Patientenvertreterin der Deutschen Diabeteshilfe kritisierte Sabine Härter zunächst, dass das Gesundheitssystem daran kranke, dass zu viel über, aber nicht mit dem Patienten geredet werde. Sie begrüßte daher eine stärkere Lotsenfunktion der Apotheken als persönliche Anlaufstelle vor Ort ausdrücklich. „Die Apotheke hat mein Vertrauen. Sie hat auch die Kompetenz, mich bei Bedarf zum Arzt zu schicken“, sagte Härter.

Thomas Preis unterstützte die Patientenvertreterin in ihrer Auffassung und bekräftigte, dass Apothekerinnen und Apotheker bereitständen mehr Verantwortung bei der Gesundheitsversorgung der Menschen - über die Kernaufgabe der Arzneimittelversorgung hinaus - übernehmen zu können. Entsprechende politische Prozesse wolle man aktiv mitgestalten. Auch angesichts von immer weniger Hausärzten müsse man neue Wege gehen, um die heilberufliche Zusammenarbeit noch besser zu strukturieren.