Expertenrunde: Antibiotika-Mangel in Deutschland - Experten fordern: Jetzt entschlossen handeln!“

Fordern entschlossenes Handeln gegen Arzneimittel-Engpässe (v.l.): Dr. Dirk Janssen, Vorstand (BKK-Landesverband NORDWEST), Prof. Dr. Gaby Flösser (Kinderschutzbund NRW), Gastgeber Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, Dr. Hubertus Cranz (Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller) und Apotheker Thomas Preis (Apothekerverband Nordrhein). Foto: GO-getter/Michael Pilz

Lieferengpässe bei Medikamenten wie Antibiotika, Hustensäften oder Blutdruckmitteln sind dramatisch. Seit Monaten beklagen Ärzte, Apotheker, Patienten und Patientinnen die aktuell prekäre Lage. Über Ursachen und schnelle, effektive Lösungsansätze diskutierte Prof. Dietrich Grönemeyer mit hochkarätigen Experten von Krankenkassen, Pharmaindustrie, Apothekerverband und Kinderschutzbund. Appell an die Politik nach der knapp einstündigen Diskussion: Es muss im Dialog mit allen Akteuren im Gesundheitswesen schnell gehandelt werden!

Sie diskutierten beim Expertengespräch zum Medikamentenmangel:

  • Prof. Dr. Gaby Flösser, Vorsitzende des Landesverbands NRW des Kinderschutzbundes
  • Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller
  • Dr. Dirk Janssen, Vorstand des BKK-Landesverbands NORDWEST
  • Thomas Preis, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein
  • Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, Moderator

Wenngleich der Mangel an Arzneimitteln, insbesondere der an Antibiotika-Kindersäften, in diesem Jahr besonders drastisch ist, weil nachgelagerte Effekte der Corona-Welle und instabile Lieferketten sowohl die Nachfrage erhöht als auch das Angebot verknappt haben, ist das Problem nicht neu. „Wir warnen schon seit zehn Jahren vor Arzneimittelengpässen – das ist ungehört verhallt. Und wir sehen auch jetzt kein Ende dieser schlimmen Entwicklung“, beklagte Thomas Preis, der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein, die aktuelle Situation. Und es würden nicht nur Antibiotika fehlen. „Der Mangel betrifft viele Medikamente: Betablocker, Psychopharmaka, Insulin, Magenmedikamente.“ Auch Dr. Hubertus Cranz, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller, forderte: „Wir brauchen endlich eine saubere Analyse der Schwachstellen und dann entsprechende Lösungen.“ Doch reden alleine bringe uns nicht weiter, so Prof. Grönemeyer. Und weiter: „Mit den Ergebnissen dieser Diskussion wollen wir einen Handlungsprozess in Gang setzen“. Denn einzig auf die Politik zu warten, das habe die Vergangenheit gezeigt, ist einfach zu wenig.

Kinder und Familien sind wieder Leidtragende

„Mir ist es ein Anliegen, nach vorne zu schauen und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen“, so Prof. Dietrich Grönemeyer. Zumal das derzeitige Problem erneut Kinder und Jugendliche besonders stark treffe. „Die Kinder sind in dieser Krise wieder aus dem Blick geraten“, stellte Prof. Dr. Gaby Flösser, Vorsitzende des Landesverbands NRW des Kinderschutzbundes, fest. „Der Medikamentenmangel lässt Kinder leiden und darunter leiden auch die Familien“, so Prof. Flösser, „das ist ein sich wechselseitig verstärkendes Problem.“

"Es gibt nicht die eine große Lösung"

Die Diskutanten waren sich schnell einig: Die eine große Lösung, die das Problem schnell beseitigt, kann es nicht geben. Eine Verlagerung der gesamten Medikamentenproduktion zurück nach Europa sei unrealistisch, bei der Problematik der Lieferketten müsse mehr auf Diversifizierung geachtet werden, Abrechnungs- und Preismodelle müssten modifiziert werden und weniger allein auf die Kostenreduktion fixiert sein. Es müsse eben an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden - und das mit gemeinsamer Anstrengung. Dr. Dirk Janssen, Vorstand des BKK-Landesverbands NORDWEST, brachte ein Frühwarnsystem, das entstehende gesundheitliche Problemlagen und den damit verbundenen erhöhten Medikamentenbedarf vorher erkennt, ins Gespräch. „In ein solches System“, so Dr. Janssen, „müssen sowohl Verordnungsdaten als auch Daten zur Entwicklung von Krankheiten einfließen“. Derzeit lägen diese Daten noch viel zu spät vor, um sie nutzen zu können.

"Es geht um Daseinsvorsorge, nicht um Luxus"

Auch die Option einer Medikamentenreserve, zumindest für die „kritischen“ Wirkstoffe, wurde thematisiert. „Es geht dabei um Daseinsvorsorge, nicht um Luxus“, so Apotheker Thomas Preis, „und das ist Aufgabe des Staats.“ Müsse der nicht zur Bevorratung entsprechende Medikamentenmengen aufkaufen, um drohende Lieferengpässe für 90 bis 120 Tage zu überbrücken, fragte Prof. Grönemeyer die Experten. BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Cranz sieht das allerdings nur als die zweitbeste Lösung an. „Denn wenn die Voraussetzungen stimmen, regelt das der Markt. Allerdings muss man Arzneimittel-Herstellern auch die Möglichkeiten geben, ihrer Arbeit auskömmlich nachzugehen.“

"Prävention ist der Game Changer in der Medizin"

Abseits von politischen Regelungen und ökonomischen Zwängen beleuchtete Prof. Dietrich Grönemeyer die Möglichkeiten, die Menschen selbst für sich nutzten können: „Ich bin der festen Überzeugung: Prävention ist der Game Changer in der Medizin. Auch in diesem Fall“, sagt er und fand große Zustimmung in der Runde. Die Stärkung der Gesundheitskompetenz des Einzelnen ebenso die Stärkung der Eigenverantwortung sei eine wichtige Maßnahme. Gleiches gelte für einen verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika. Vor der Verordnung eines Antibiotikums sollte möglichst gründlich die Frage geklärt sein, ob tatsächlich ein Infekt durch Bakterien vorliegt. Schließlich gelte bei der Behandlung immer die Devise: von leicht zu schwer. In der Folge sollte die Antibiotikabehandlung so kurz wie nötig beibehalten werden.

„Wir müssen die medizinische Aufklärungsarbeit für Familien stärken, da müssen wir uns noch mehr anstrengen“, forderte Prof. Gaby Flösser vom Kinderschutzbund. Sie wünsche sich, dass „eine Generation heranwächst, die mit sich selbst kompetent umgehen kann, in der Gesundheit, im Denken, im Fühlen.“ Zudem sieht sie einen Wandel im medizinischen System als notwendig an: „Neben einer kurativen Medizin wünsche ich mir ein System, das auf das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ausgelegt ist.“

Die wichtigsten Thesen im Überblick:

  • Zehn Jahre ist das Problem bekannt, nichts ist passiert.
  • Ein Ende der Arzneimittellieferengpässe ist nicht abzusehen.
  • Auf staatliche Akteure zu warten hilft nicht bei der Problemlösung.
  • Fehlende Daten und Digitalisierung erschweren den Aufbau eines Frühwarnsystems bei drohenden Lieferengpässen.  
  • Wie schon während der Corona-Pandemie trifft jetzt der Arzneimangel Kinder und Jugendliche erneut wieder besonders stark.
  • Pharmaindustrie, Krankenkassen, Apotheken und Ärzte sollten im Dialog mit der Politik Lösungen erarbeiten.
  • Entschlossenes Handeln ist gefordert.

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